Gedichte
Toter Briefkasten

Erste Leerung:

Beziehungskisten

- Erklärung
- Dauerauftrag
- Hans im Glück I
- Hans im Glück II
- Feststellung
- Sprachlos
- Bestandsaufnahme
- Rauschgift
- Letzte Logbucheintragung
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Zweite Leerung:

Verquere Verse


- Bilanz
- Camping-Elegie
- Versuchte Erklärung
- Terzinen des Vagus
- Fraglich
- Fußnoten

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Erklärung

Gelegentlich grabe ich
unter dem Schutt
meiner mürbe gewordenden Logik
nach alten Wörtern-
als da sind,
beispielsweise,
Muße
oder auch
Anmut,
Würde,
vielleicht sogar
Wohlklang.

Vorsichtig hebe ich sie
aus dem Dunkel
meiner Erinnerung,
biege sie gerade
und blase den Staub
aus den Vokalen,
bis sie wieder
zu klingen beginnen.

So gut es geht,
reime ich dann
mehr oder weniger
harmlose Verse
aus ihnen zusammen.

Für den Fall,
daß ich blicklos
in deine Richtung starre-
störe mich nicht:
Ich grabe
nach alten Wörtern.

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Dauerauftrag

Es wird gebeten,
in gewissen Ausnahme-
sowie auch
in jeden und allen anderen Fällen
nicht zu versäumen:

Jenes gewisse Lächeln-
auch heimlich zurück,
bei geschlossenen Augen,

diesen bestimmten Duft,
der so garnicht
und doch wieder auch
an eine rote Nelke erinnert,

sowie nach Möglichkeit
eine leise Berührung,
sozusagen
nach eigener Wahl,
zurückzulassen-
unsicherheitshalber.

Dies wird benötigt
zur Erhaltung des Zustandes
zeitweiligen Schwebens.

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Hans im Glück I

Mißtrauisch
verfolge ich den Verlauf
jener Grenze,
an der die Geduld der Erwartung
umschlägt
in die Ungeduld nach Erfüllung.

Übergangslos
mischt sich
einem Gefühl der Wärme,
das mich durchströmt,
wenn ich Dich sehe,
ein anderes bei-
die Kälte des Zweifels,
gleiches Gefühl zu wecken.

Möglich, daß ich vergaß:
In der Dialektik der Emotionen
wird der Gewinn der Hoffnung
bezahlt
mit dem Verlust der Gelassenheit.

-4- nach oben
Hans im Glück II

Als ich Hoffnung
gegen Gelassenheit tauschte,
schien der Ausgleich gerichtet
auf eine mögliche Zukunft.

Da die Hoffnung verlorenging,
habe ich nun
Bitterkeit gegen Gelassenheit erworben-
nichts brauchte ich mehr,
sie zu ertragen.

Nun suche ich
nach dem Sinn all dessen,
was mir geschah.

-5- nach oben
Feststellung

Nachdenklich
und ein wenig traurig
höre ich von Deiner Freude
an meinen Versen.

Scheint es doch so,
als ob die klingenden Wörter
ihren eigenen Sinn übertönten;
solltest Du nicht erkennen,
daß ich Dir selbst zu begegnen glaube
in meinen Gedanken?

Notbehelf
bleibt alles Sagen,
wenn nur die Form
Deinen Beifall findet.

Wieviel lieber
malte ich krause Figuren
auf deine nackte Haut,
statt auf totes Papier zu schreiben,
was mir das Herz bewegt.

-6- nach oben
Sprachlos

Mitunter
bersten lautlose Schreie
in meiner trockenen Kehle,
zerfallen
zwischen Zunge und Gaumen
in lahme Sätze
und bröckeln
als kraftlose Worte
durch meine Zähne.

Die Wahrheit
könntest Du lesen
in meinen Augen:

Daß meine spröden Lippen
trinken wollen
von Deinem Munde
die lockende Feuchte;
daß meine heiße Stirn
ruhen möchte
im schmiegsamen Rund
Deiner Achselhöhle,
während an meiner Wange
die sanfte Wölbung der Brust
unmerklich bebt
unter dem Schlag
Deines Herzens.

Das Alles
kann ich icht sagen.
Statt dessen
bersten lautlose Schreie
in meiner Kehle.

-7- nach oben
Bestandsaufnahme

Im Vakuum,
gebildet aus Deiner Abwehr
meiner ohnehin ratlosen Zuneigung,
sitze ich manchmal neben Dir
und halte die Hände
fest in den Achselhöhlen,
der Vesuchung zu widerstehen,
Dich zu berühren.

Was wird die Erfahrung
der nächsten Verwandlung sein,
nachdem die Furcht
vor derm Verlust der Fassung
gewichen ist dem Wunsch,
diesen Verlust zu erfahren?

Dem Reiz zu widerstehen,
mich fallen zu lassen,
in der wahnwitzigen Hoffnung,
aufgefangen zu werden
scheint mir die letzte
lustlos verteidigte Barrikade
meines Widerstandes.

-8- nach oben
Rauschgift

Süß und lähmend
steigt die Flut
einer ziellosen Zärtlichkeit
Tag um Tag
in meinen Adern.

Welchen Gestzen
folgt diese Kraft,
die sich,
in mir entstanden,
nun gegen mich selber wendet?

Zögernd hebst Du
zerrissene Schleier
von zerbrochenen Bildern,
deren Anblick die Torheit
all` meiner Wünsche erklärt.

Ursache ungewollter Verwandlung
bleibst Du selbst unberührt,
kühl wie das Glas einer Linse,
das, die wärmenden Strahlen sammelnd,
ferne von sich
den Brennpunkt versengt.

-9- nach oben
Letzte Logbucheintragung

Nach dem Schiffbruch,
den Ort der Strandung erkundend,
wurde die Lage
folgendermaßen eingeschätzt:
Überleben möglich,
doch Verhältnisse
ohne fremde Hilfe
maximal als erträglich
zu bezeichnen.

Notrufe abgesetzt-
Empfang
als gesichert anzunehmen.
seitdem
vergeblich auf Antwort gewartet.

Vermutung,
daß Informationen
über kritische Lage
als Scherz aufgefaßt wurden.

-1- nach oben

Bilanz

Soll und Haben
Für und Wider
Auf und Nieder
Tag und Nacht

Haut und Haare
Leib und Glieder
Fleisch und Blut
geweint-gelacht

Mond und Sterne
Kopf und Kragen
Lug und Trug
in Herz und Hirn

Ach und Krach
auf Tod und Leben
Gott im Himmel
Garn und Zwirn

-2- nach oben

Camping-Elegie

Denkbar dankbar,
dass die Zeit so lang war
mit uns beiden;
bin ich lenkbar
heute wie ein Gaul;

und es strafen diese Strophen
die Behauptungen,
die mich betrafen:
Ich sei Faul!

Welten wollten,
dass wir beide sollten;
es war nur das Eine:
Dann beim Zelten
hast Du nicht gewollt.

Frommer, Komma,
als in diesem Sommer
war ich selten-
von dem Kummer
hab`ich mich noch nicht erholt.

Diese Dose
mit derselben Salbe,
die uns beiden
halbe-halbe
hat bei Sonnenbrand genützt,

sie sei Deine.
Es hat keine
Salbe vor den Leiden,
die ich meine,
irgendwie geschützt,

Wellen wallen
und die Blätter fallen
und auch meine Haare-
die vor Allem-
haben kaum gejüngt.

Liebesgaben,
die wir uns verkniffen haben,
schenkt im nächsten Jahre
Dir ein and`rer Knabe
Punkt.

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Versuchte Erklärung

Du bist verstimmt, wenn ich Dich dannach frage,
ob Du Dich noch auf dies und das besinnen kannst:
Die Regennacht im Zelt, die Ferientage,
und wie Du den Bikini anzuzieh`n verstand`st,

das Bad im Mondschein, das Gardinenmuster
auf Deiner Haut im Gaslaternenschein-
das alles fiel mir in dem halben Duster
in Deinem Zimmer plötzlich wieder ein.

Versteh`mich recht: Es ist noch mehr geblieben,
als die Erinnerung an Deine warme Haut;
doch uns`re Worte habe ich nciht aufgeschrieben-
nur Ungesagtes wurde scheinbar wieder laut.

Du musst nicht traurig sein; ich habe nichts vergessen,
wie viele kluge Dinge wurden schon gesagt-
die Zeit geht drüber hin und unterdessen
bleibt schließlich doch nur, was man selbst gewagt.

-4- nach oben

Terzinen des Vagus

Da sitz`ich nun und kaue an der Feder,
die Stirn in Falten und die Seele auch
mit dem Entwurf für deinen Nachruf auf dem Bauch.

Ich liege sitzend, du entsinnst dich sicher
dieser Stellung, sie war fast bequem.
Du bist weit fort. Das ist mir heut angenehm.

Dass ich dem Andern an der Tür begegne,
war von uns Dreien sicher nicht geplant.
Ich wusste nichts Genaues, doch ich hatte es geahnt.

So war es doch ein bisschen peinlich für uns beide.
In deiner Bude war schon manches umgebaut;
dass es so schnell geht, hab`ich dir nicht zugetraut.

Es ist nur - irgendwie war ich bei dir zu Hause
der Tisch, das Bett, in dem wir beide schliefen-
und nun soll ich Besuch sein, unter "ferner liefen?"

Ich bin das letzte Mal bei dir gewesen
und singe nun, wie da geschrieben steht:
Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht.

-5- nach oben

Fraglich

Ich gehe
Du gehst
Wir gehen.
Wohin gehen wir?
Zu den Andern.
Wer sind die Andern?

Ich habe Recht
Du hast Recht
Wir haben Recht-
die Andern haben auch Recht.
Wer hat Recht?

Die Ja-Sager
Die Kopf-Nicker
Die Schulter-Klopfer
Halleluja!

Wer aber sagt:
Mea Culpa?

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Fußnoten

Ach, sagte der Fisch,
ich mache mir nicht viel
aus der Angelei.

Anmerkung:
Den Wurm hatte keiner gefragt.

 

Neulich sah ich einen Pudel
mit einer blonden Frau.
Die Frau sah mich an.
Ich sah den Pudel an.
Der Pudel sah mich auch an.
Der Pudel kam zu mir gelaufen.
Die Frau blieb sitzen.
Der Pudel machte das Maul auf,
aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
Halt`s Maul, sagte ich, ich weiß Bescheid.
Ich hatte Angst, er würde mir alles erzählen.
Wieder machte der Pudel sein Maul auf.
Du sollst mich in Ruhe lassen, schrie ich.
Er versuchte es ein drittes Mal.
Da lief ich ihm davon.

Anmerkung:
Was gehen mich die blonden Frauen
von Pudeln an.


Alles dreht sich um mich,
schrie der bunte Kreisel.

Anmerkung:
Er merkte nicht,
dass er sich um sich selbst drehte.

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